Berlin, Sophiensæle, 19. – 21. November 2015
Düsseldorf, FFT, 4. – 5. Mai 2016
Hamburg, Kampnagel, 26. November 2016, ab 19:30 Uhr
„Really Useful Theater“ ist eine Serie von thematischen Wochenenden, die sich kritisch mit dem Nutzen und Nachteil des Theaters für das Leben befasst. Theater in Deutschland wird subventioniert, die Gesellschaft leistet sich Theater in einem System der Vorfinanzierung, das den Akteuren relative Freiheit in der Umsetzung lässt. Wer aber entscheidet über die Vergabe der Mittel? Nach welchen Kriterien? Ist dieses System, das immerhin schon über 200 Jahre existiert, noch legitim? Müssen Theater auf die aktuelle politische Situation stärker eingehen und sozialarbeiterische Funktionen übernehmen, wie es vermehrt in den Konzepten von Förderinstrumenten formuliert wird? Oder ist das das Ende der Kunst? Die teils erbittert geführte Diskussion zwischen den Polen ‚Freiheit der Kunst’ und ‚Nützliche Kunst’ führen wir auf den Bühnen von drei Theatern fort. In den sophiensaelen Berlin, dem FFT Düsseldorf und auf Kampnagel Hamburg kommen Künstler*innen mit performativen Statements in unsere Arena des Widerstreits. Es werden Vorträge gehalten und kuratorische Statements zur Frage nach der Nützlichkeit des Theaters abgegeben. Alle Beiträge sind als Video und Audiofile auf unserer Website abrufbar.
Spiegel Online, 17.11.2015
Unter dem Titel "Really Useful Theater" wird in den Berliner Sophiensaelen ab Donnerstag über die Relevanz und Nützlichkeit des Theaters diskutiert. Vorab hat Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung mit der künstlerischen Leiterin Stefanie Wenner gesprochen, die angesichts der an Kunst und Theater zunehmend herangetragenen Forderungen nach politischem Mehrwert auf die Autonomie der Kunst pocht: "Wenn es aber einen gesellschaftlichen Auftrag gibt, sozial wirksames politisches Theater zu machen, dann wird Kunst in einem Sinne vereinnahmt, der mich an sozialistischen Realismus und dessen Verklärung der Wirklichkeit erinnert, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen, denn hier geht es mit einem 'kapitalistischen Realismus' eher um ein Regime der Angst."
nachtkritik, 22.11.2015, Janis El-Bira
In der Reflexionsmanufaktur
Berlin, 22. November 2015. Seit einiger Zeit rüttelt die große Welt da draußen wieder hörbarer an den Türen jener Bühnen, deren Bretter bekanntlich selbst wenn schon nicht die, so doch wenigstens eine Welt bedeuten sollen. Dieses Klopfen war freilich immer schon da, aber zuletzt schien es besonders, als hätten die entfesselten Tatsachenfabriken der Wirklichkeit nun einen uneinholbaren Vorsprung erreicht, dem die mühsam mahlenden Reflexionsmanufakturen der Kunst und des Theaters nur noch hinterher hecheln können.
Gesellschaften, die sich gefühlt oder de iure im Ausnahmezustand befinden, die täglich eine neue, noch nie dagewesene Stufe der Krise oder Bedrohung ausrufen, denken in der Regel nicht an erster Stelle über Kultur, gar über das Theater nach. Tun sie es doch, dann stellen die vorgeordneten Problemzonen von "Flüchtlingskrise" bis "Terrorwarnstufe 4" eine nicht unwillkommene Legitimierung dar, einige immer im Hintergrund mitrauschende Fragen einfach mal laut auszusprechen: Wem nützt das eigentlich, was ihr dort in den subventionsgestützten Elfenbeintürmen zusammenreimt? Welche Relevanz hat das? Ist das eigentlich noch aktuell? Oder auch: Schämt ihr euch gar nicht, zu tun, was ihr tut, während anderswo...?
Selbststabilisierungs-Manöver
Jede dieser Fragen legt den Finger in eine andere Wunde, sei sie nun ökonomischer, sozialer, ästhetischer oder moralischer Art. Während sie allerdings an der Bildenden Kunst in der Regel recht verlässlich abprallen (und aus historischen Gründen auch gar nicht in der selben Vehemenz gestellt werden), fand das Theater eigentlich schon immer ein ambivalentes Vergnügen darin, sie wie in einem Akt konstruktiven Masochismus auch noch selbst an sich zu richten: Die Fragen nach Nützlichkeit und Relevanz werden da (noch) brennender und schmerzlicher, wo sie nicht allein als erwartbare Selbststabilisierungsmanöver des nutzenoptimierten Neoliberalismus abgetan und bekämpft werden können, sondern sich quasi von innen, also vom Selbstverständnis des Theaters her aufdrängen.
Wenn es so weit gekommen ist, ist man wohl gut beraten, die kleine Schar der Theaterspielenden und -(be)schreibenden zu versammeln, und sie eine Ortsbestimmung vornehmen zu lassen, die im Wesentlichen auf kaum weniger als eine entschieden un-klassische Aktualisierung der klassischen Schiller-Frage hinauslaufen muss: Was kann eine gut stehende Schaubühne eigentlich wirken?
Kaum anspruchsvoller zu denken
So geschehen ist das in den vergangenen Tagen in den Berliner Sophiensaelen, deren putzbröckeliger Altglanz fast selbst schon wie ein post-theaterapokalyptischer Ruinen-Rahmen für die anstehende Verhandlung wirkte. "Really Useful Theater" hieß die von Stefanie Wenner und Thorsten Eibeler kuratierte und personell wie zeitlich fast episch dimensionierte Veranstaltung, pendelnd zwischen Blockseminar, Festival und Konferenz. Sie wäre, das darf gleich gesagt werden, kaum anspruchsvoller, vielstimmiger, differenzierungsbemühter, aus- und erschöpfender zu denken gewesen. Wer sich das volle, dreitägige Programm gönnte, dürfte jedenfalls Schwierigkeiten zu unterscheiden haben, ob gewisse Redundanzerscheinungen gegen Ende dem eigenen Hirntaumel oder doch der Tatsache geschuldet waren, dass zwar schon alles, aber noch nicht von allen gesagt worden war. Die Qualität dieses enormen Kraftakts schmälert das indes keineswegs.
Kurioserweise bestand diese ausgerechnet auch in der Auslegbarkeit eines eigentlich allzu verwirrenden Veranstaltungstitels. Denn mit der hässlichen deutschen Übersetzung von "useful" als "nützlich" wollten sich die meisten Referentinnen und Diskutanten nicht so recht anfreunden und erweiterten "useful" stattdessen eher in Richtung von "meaningful", also "bedeutsam", was unweigerlich zu ganz grundsätzlichen Diskussionen über Sollen und Können von Theater überhaupt führte.
"Nützlich" im eigentlichen Sinne war und ist Theater vor allem dort, wo es sich mehr oder weniger offen zweckmäßig in Dienst nehmen lässt. Das kann die kommerzielle Verzweckung sein, die in den privat geführten Kompanien über Jahrhunderte der Standard war, wie der Berliner Theaterwissenschaftler Matthias Warstat zu Beginn historisch aufwies. Komplizierter, aber für die heutige Diskussion auch anschlussfähiger, liegt der Fall, wenn am Ende der Zwecke nicht Münzen und Scheine, sondern Ideen aufleuchten. Da nämlich wird aus den Figuren auf der Bühne die Vorwegnahme eines utopisch entworfenen Menschen, wie er zum Abschluss eines gesamtgesellschaftlichen Projekts erstrahlen soll, dem alles, auch die Bühne, bloß in den Steigbügel helfen darf.
Leiden an der Unbestimmtheit
Für das Theater des Sollens und Könnens ist dieses maßgebliche Projekt natürlich das der europäischen Aufklärung. Jan Lazardzig, Theaterwissenschaftler in Amsterdam, zeigte das, indem er Schillers Schaubühne als "moralische Anstalt" mit der neuzeitlichen Entwicklung des bis ins 18. Jahrhundert noch sehr weit gefassten Polizeibegriffs verschaltete. Die Philosophin Marita Tatari ging noch weiter und ließ das moderne Leiden an Unbestimmtheit (vor und auf der Bühne) mit dem Zusammenbruch der säkularen Geschichtsteleologie des Aufklärungszeitalters koinzidieren.
Das ist soweit nicht unbedingt neu, nahm bei Tatari aber die Wendung, dass sie hieraus folgenschwere Schlüsse für den in Kunst und Theater zentralen Autonomiebegriff ableitete. Die Aufklärung nämlich wusste ausgerechnet den Selbstzweck der Kunst noch als spiegelnde Vorwegnahme eines zukünftigen, vernünftigen und autonomen Menschen paradoxerweise zweckmäßig zu instrumentalisieren. Nach den Aporien der Geschichtsteleologie und erst recht nach dem Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts aber wirkt dieser Selbstzweck der Kunst wie ein Torso ohne Kopf: Das Theater hat vergessen, warum es frei sein soll.
Ins Herz gezielt
Zwar stiftete Tataris sehr dichter Vortrag im Auditorium dem Anschein nach vor allem Verwirrung (und war wie die meisten Superformeln gewiss nicht hieb- und stichfest), tatsächlich aber führte er genau ins Herz der aktuellen Debatte um Nützlichkeit und Relevanz des Theaters.
Denn als Reaktion auf diese zwecklose Selbstzweckhaftigkeit hat sich längst wieder ein Theater etabliert, dem es mit dem Zweck und der Relevanz ernst, ja heilig-ernst ist. In ihm glüht ein Schimmer der "moralischen Anstalt" nach; oder was wären Nicolas Stemanns Flüchtlinge auf der Bühne, Falk Richters Pegida-Spott oder Milo Raus Tribunale anderes als der totgeglaubte Versuch, auf der Bühne vorwegnehmend zu realisieren, was Gesellschaft und Gerichtsbarkeit (noch) nicht einzurichten vermochten?
Daran ist an sich überhaupt nichts verkehrt, bisweilen ist es sogar notwendig, wie bei "Really Useful Theater" vor allem ein Panel internationaler, nicht-europäischer Stimmen untermauerte. Dennoch läuft es immer Gefahr, eine Kritik von jener allzu durchschaubaren Art zu formulieren, die der entgrenzte Kapitalismus sich nur allzu gerne eingerahmt ins Regal (oder auf die Festivalbühnen) stellt.
Gefahr des Als-ob
Wie sich zwischen Lehrspiel und Leerspiel hingegen noch ein Raum für eine ernstzunehmende Ästhetik des Widerstands auftun könnte, darauf verwies in einem der vielen "performativen Statements" der Veranstaltung Alexander Karschnia von der Gruppe andcompany&Co. Per emphatischem Schlingensief-Rückgriff erklärte er, das Theater müsse daran festhalten, "so zu tun, als ob es nur so tut."
Keinen Schritt darüber hinaus, keinen dahinter zurück. Damit wäre der Welt die Bühnentür tatsächlich einen Spalt weit geöffnet, wären Innen und Außen relevant aufeinander bezogen – jedoch in Form einer Verwandlung, eines "serious play" (Juliane Rebentisch) gemäß der Hausregeln, nicht als Reproduktion des Tatsachenelends. Ein Theater jedenfalls, das bruchlos so tut, als täte es nur so, bleibt unberechenbar und gefährlich, und erinnert darin an eine bissige Klassiker-Weisheit: "Look like the innocent flower, but be the serpent under it."
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