Berliner Zeitung, 19.5.2014 Doris Meierhenrich Pilze.
Eine Brutstätte für Theater
„Mykorrhiza – Ein Apparat“ nennt die Inspiratorin und künstlerische Leiterin Stefanie Wenner das höchst eigentümliche Multi-Sparten-Happening, das die nächsten sieben Wochen um die mysteriöse Lebensform der Pilze kreist, die neben eine ganz eigene, wenig erforschte Lebensart bilden. Pilzaktionen, Pilzinstallationen, Pilzforschung und Pilztheater sollen entstehen und das Denken aus den alten Kategorien langsam in eine neue vegetative Eigenbewegung der Materie hineinwachsen lassen. (...) Im Heizhaus der Uferstudios hofft man, den schönen Mechanismus aus den Tiefen der Erde bald auch ans Licht zu bringen und hat dafür zehn gemäldegroße, gläserne Beete im Raum aufgehängt, in die frische Kiefernsetzlinge gepflanzt sind. Im Laufe der kommenden Wochen werden sich die noch unsichtbaren Pilze um die Wurzeln legen und ihren Lebensapparat sichtbar machen. Als Nichtpilz kann man dann davor sitzen und überlegen, was diese unterirdische Pilzintelligenz und ihre erstaunliche Anschlussfähigkeit an anderes Leben für uns sein kann. (...) Dass es bei dem ganzen Pilze-Verstehen nicht um antiwissenschaftliche Naturverklärung geht, sondern im Gegenteil um ein genaueres, der Materie und ihre Tücken noch viel näher rückendes Sehen, verrät die Rauminstallation von Thorsten Eibeler bereits jetzt. (...) An manchen Stellen schimmelt es bereits über der Schnitzarbeit wie ein samtener Giftschleier: der erste Pilzeintritt in die Kunst. Der zweite wird hoffentlich ein mykorrhizomatischer sein.
Zitty Berlin, 24.6.2014, Susanne Stern
Pilzvisionen: Mykorrhiza: Ein Apparat
Das Festival Mykorrhiza zeigt vom intelligenten Netz der Pflanzen inspirierte Performances und Kunst-interaktionen
„Unbefugten ist das Betreten des Kesselhauses und der Aufenthalt darin verboten“ – das Schild neben dem Eingang zum Kesselhaus auf dem Gelände der Weddinger Uferstudios ist eine Spur aus vergangener Zeit. Sieben Wochen lang ist der riesige, noch unrenovierte Raum derzeit Zentrum des Mykorrhiza-Festivals, das Kuratorin Stefanie Wenner hier wuchern lässt. Heuballen und Gymnastikbälle zum Sitzen, und überall wachsen Pilze, in Schränken, Reagenzgläsern und einer Anzuchtstation. Beim Abschlussfest am 5. Juli soll gemeinsam mit den Besuchern geerntet und gegessen werden. Wie ein Kunstwerk gerahmt und hinter Glas befindet sich das Phänomen, das dem Festival das Arbeitsprinzip liefert: Mykorrhiza. Was für den Laien wie Wurzel-geflecht aussieht, ist eine hochkomplexe Symbiose aus Wurzeln und Pilzen, die es Pflanzen erlaubt, miteinander zu kommunizieren und einander zum Beispiel vor Feinden zu warnen. Dieses sogenannte Wood Wide Web durchzieht unterirdisch große Flächen der Erde, nimmt manche digitale Errungenschaft vorweg und „wirft unsere Vorstellungen von menschlicher Überlegenheit gegenüber den passiven Pflanzen völlig über den Haufen“, so Stefanie Wenner. Ein Trendthema der Biologie als Konzept eines interdisziplinären Kunstfestivals, das erschließt sich nicht auf Anhieb. Aber auch ohne theoretischen Hintergrund kann der Besucher einiges erleben. Symbiosen nach Mykorrhiza-Prinzip bestimmen das Programm: zwischen Künstlern verschiedener Disziplinen, Künstlern und Raum und vor allem zwischen Festival und Besuchern. Die Interaktion mit der Weddinger Nachbarschaft ist den Machern wichtig, der Eintritt ist immer frei. Aktionen wie das Pilzessen und eine Fronleichnamsprozession durch den Kiez laden zur Vermischung der Milieus ein. Dazu kommen Konzerte, die mit der Akustik des Kesselhauses spielen, auf ein Laienpublikum zugeschnittene Fachvorträge und eine Performance von Kate McIntosh. Das zwischen Performance, Happening und Kunstaktion pendelnde Festival ist kein Theater im herkömmlichen Sinne. Aber durchaus, wenn man das Genre auch als soziale Interaktion versteht.